Europa hat gewählt! Zwischen dem 06. und 09. Juni 2024 haben alle 27 Mitgliedstaaten gewählt, um die ihnen zustehenden Sitze im Europäischen Parlament zu besetzen. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 2020 hat Deutschland Anspruch auf 96 der insgesamt 720 Sitze und damit das mit Abstand größte Sitzkontingent aller EU-Mitgliedstaaten. Für die Angelfischerei gibt es viele Themen, die auch nach der Wahl auf der Tagesordnung stehen werden. Die wichtigsten Themen, die die europäische Arbeit des DAFV und die anderen EAA-Mitglieder betreffen, sind die laufenden Diskussionen zur Fischereikontrollverordnung, zum Prädatorenmanagement, zum EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Während diese Themen in den Plenarsitzungen immer wieder zur Sprache kamen, blieb das Legislativverfahren durch das EU-Parlament und die endgültige Umsetzung in der nächsten Legislaturperiode auf der Strecke. Nach einem unauffälligen, aber nicht ganz geräuschlosen Wahlkampf gaben 64,8% der Wahlberechtigen in Deutschland am 09. Juni 2024 ihre Stimme zur Europawahl ab. Voraussichtlich wird das neue Europäische Parlament eine spürbar andere Arithmetik aufweisen als das Letzte von 2019.
Quelle: https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse/bund-99.html
Anregungen zum Nachdenken über die Ampel
Vor allem für die beiden großen Ampelparteien sind die Denkanstöße von besonderer Bedeutung. Um einen vollständigen Kontext zu gewährleisten, ist es vielleicht am besten, einen wichtigen Faktor, der zu diesen Ergebnissen beigetragen hat, zu betrachten und die Ergebnisse mit denen der letzten Europawahl und vor allem mit denen der letzten Bundestagswahl zu vergleichen. Im Vergleich zur Europawahl 2019 verlor die SPD 1,9 % ihrer Stimmen, Bündnis 90/Die Grünen 8,6 % und die FDP 0,2 %. Dies ist eine klare Absage an die Grünen durch die eigene Wählerschaft, die sicherlich zu Diskussionen und Bewegungen innerhalb der Partei führen wird. Ein Rückgang des Stimmenanteils um fast 10 % kommt nicht von heute auf morgen, sondern ist vielmehr Ausdruck einer langjährigen Enttäuschung oder gar Abkehr vom Parteiprogramm der Grünen. Eine wichtige Erkenntnis aus der kurz nach Schließung der Wahllokale veröffentlichten Tageschau-Umfrage war, dass für 55% der Wähler die aktuelle Bundespolitik entscheidend für die Stimmabgabe war.
EU-Grundsatzprogramme stehen auf der Kippe
Der "Green New Deal"
Ein Eckpfeiler des letzten politischen Programms der Europäischen Kommission war der Green New Deal. Dabei handelt es sich um eine Politik mit Vorbildcharakter, die die EU-Wirtschaft modernisieren und gleichzeitig Investitionen in erneuerbare Energien und klimaneutrale Produktion fördern soll. Vorbild sind Wirtschaftsreformen, die Präsident Franklin D. Roosevelt in den USA durchführte, um sein Land aus der Großen Depression zu führen. Da auch Europa noch unter den Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 leidet, ist diese Politik, wie sie von sozialdemokratischen und grünen Parteien formuliert wurde, meist als zweischneidiges Schwert gedacht. Gute Absichten waren bei der Erstellung des Green New Deal zweifellos vorhanden, aber die daraus resultierende Klima- und Energiepolitik hat die Stimmung bei vielen Umwelt-NGOs und Naturschutzvertretern in den Mitgliederstaaten gleichermaßen getrübt. Knackpunkt ist hierbei der auch vom DAFV immer wieder vorgebrachte Konflikt zwischen Klimaschutz und Naturschutz. Der Ausbau von Solarenergie, Windparks, Wasserkraftwerken oder auch Flusswärmepumpen ist mit vielen Umweltproblemen verbunden. Aquatische Ökosysteme sind dabei besonders stark von Eingriffen betroffen. Darüber hinaus ist der Ausschluss der Bürger durch Nullnutzungszonen ein Katalysator für die Abschwächung der Motivation, sich aktiv für die Wiederherstellung und den Schutz der Natur einzusetzen. Der DAFV hat zahlreiche kritische Stellungnahmen zu dieser Politik und ihren möglichen Auswirkungen auf die Angelfischerei in Deutschland veröffentlicht.
Gesetz zur Wiederherstellung der Natur
Ein weiteres wichtiges, politisches Projekt des scheidenden Parlaments ist das viel diskutierte Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das Anfang des Jahres von dem Europaparlament verabschiedet worden ist und nun von der Entscheidung des Europäischen Rat und der neuen Kommission abhängt. Es ist zu erwarten, dass dieses Gesetz als Reaktion auf die wahrgenommene Ablehnung der "grünen" Politik durch die Wähler ausgedünnt wird. Dieser Gesetzesentwurf war das Ergebnis intensiver Arbeit von Umwelt-NGOs unter Mitwirkung der European Anglers Alliance. Auch wenn die neuen Abgeordneten geneigt sein könnten, diese Politik symbolisch ad acta zu legen, wäre dies ein großer Rückschlag für den ökologischen Zustand unser Gewässer und damit verbundenen Angelmöglichkeiten. Ziel des Gesetzes ist es, bedrohte, natürliche Lebensräume wiederherzustellen und die Durchgängigkeit unserer Flüsse zu verbessern. Diese Maßnahmen sind an den durch Querbauwerke und Verschmutzung ohnehin gefährdeten Flüssen dringend erforderlich. Eine völlige Ablehnung des Naturschutzgesetzes wäre sehr kurzsichtig und ein echter Rückschlag für Europa.
Die Kluft zwischen Stadt und Land wird immer größer
Einstellungen zur Natur / Nutzungsbedrohung
Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-06-09-EP-DE/index.shtml
Neben der sichtbaren, politischen Ost-West-Teilung (siehe Karte) zeigt das aktuelle Wahlergebnis auch eine deutliche Stadt-Land-Teilung auf. Die Grafik oben zeigt, dass sich die Stimmen für die Grünen auf die Großstädte wie Berlin, Hamburg, Münster und Köln konzentrieren. Ein Ausreißer war Bremen, wo die SPD die Nase vorn hatte. Was sagt uns so etwas über das aktuelle politische Klima? Nun, wir können davon ausgehen, dass Stadtbewohner ein anderes Verhältnis zur Natur haben als Landbewohner. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die keinen direkten Bezug zur Natur haben, ein anderes Verständnis davon haben, wie die Natur am besten geschützt werden sollte. Die Tatsache, dass die Botschaft von Bündnis 90 / Die Grünen in städtischen Gebieten besser ankommt, könnte darauf zurückzuführen sein, dass es dort tendenziell weniger große Energie Infrastruktur / Klimaprojekte gibt. Große Klimaschutz- und Energieprojekte werden eher außerhalb der Städte gebaut (Windkraftanlagen, Gasterminals und Photovoltaik), was erklärt, warum die Bevölkerung in ländlichen Gebieten die Botschaft der Partei großflächig ablehnt. Die Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen auf die Natur sind in städtischen Gebieten in der Regel geringer als in ländlichen Gebieten.
Ein aktuelles Beispiel sind die Diskussionen um die mögliche Einrichtung eines Naturparks Ostsee in den Küstenregionen Schleswig-Holsteins. In den Verfahren mit dem Landesumweltminister wurde die mögliche Einführung von Nullnutzungszonen vielfach nicht ausgeschlossen. Diese Trennung der Bevölkerung von den umliegenden naturräumlich bedeutsamen Gebieten erwies sich als zu groß. Die Einrichtung eines Nationalparks wurde von den Küstenbewohnern als unangemessen empfunden und führte schließlich zum Abbruch des Projekts. „Man schützt nur, was man liebt, man liebt nur, was man kennt.“ – Dieses Zitat des Zoologen und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz beschreibt sehr passend der aktuellen Situation. Die Anglerinnen und Angler in Deutschland spielen bundesweit eine wichtige Rolle bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Gewässerunterhaltung. Die organisierte Angelfischerei setzt sich seit Jahren für eine sachgerechte Umsetzung der WRRL und den Rückbau von Querbauwerken in unseren Gewässern ein. Es sollte daher ein wichtiger Aspekt der Umweltpolitik sein, dass die direkt Betroffenen mitentscheiden sollten, anstatt eine Verbotspolitik zu diktieren oder zu erzwingen. Solche Ereignisse um die mögliche Ausweisung von Nullnutzungszonen dürften zu dieser Gegenreaktion der Wähler geführt haben.