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Am 04. April 2022 hat der BUND ein neues Standpunktpapier mit dem Titel: „Gefährdet und gejagt: Warum ein Fangverbot für den Europäischen Aal jetzt notwendig ist“[1] veröffentlicht. Trotz überwiegend gut recherchierter Hintergrundinformationen zur Gesamtsituation werden Quellen fehlgedeutet und falsche Schlüsse gezogen.

Fehldeutung von Quellen

Auf Seite 6 werden die Quellen zur Glasaalmortalität bedauerlicherweise irreführend verwendet. Die Studie von Simon et al. (2021)[2] wird hier als Nachweis für eine Mortalität “von bis zu 82 Prozent“ herangezogen, dabei sind es tatsächlich lediglich 7,4 Prozent. Die Autoren haben mit ihrer Studie[2] nachgewiesen, dass die durchschnittliche Mortalität von 42 Prozent, wie sie von Briand et al. (2012)[3] für das Winterhalbjahr 2006/2007 nachgewiesen wurde, aufgrund der Verbesserungsmaßnamen durch die 2007 erlassene Aalverordnung und die Einführung eines Sustainability Standards, auf durchschnittlich 7,4 Prozent gesunken ist. Der BUND bezieht seine Rückschlüsse aber trotz Nennung der aktuellen Studie[2] ausschließlich auf den Maximalwert aus 15 Jahre alten Daten[3] und verschließt seine Augen vor der Realität des Jahres 2022.

Falschauslegung der ICES Fangempfehlung und falsche Schlussfolgerungen zur Gesamtsituation des Europäischen Aals

Auf Seite 7/8 schreibt der BUND, dass die Wissenschaftler*innen des ICES ihren Ton noch einmal verschärft haben und empfehlen, jegliche Fischerei auf Aal in allen Gewässern einzustellen. Allerdings haben Vertreter der Europäischen Kommission und des ICES in den Sitzungen der Advisory Councils (NSAC und BSAC) im ersten Quartal 2022 mehrfach darauf hingewiesen, dass es sich dabei nur um eine aus administrativen Gründen notwendige Umformulierung handelt, um die Fangempfehlung (ICES Advice) für den Europäischen Aal an den Wortlaut von Empfehlungen für andere Arten anzupassen. Die Daten des ICES liefern keinen Hinweis darauf, dass sich die Situation weiter verschlechtert hätte und es drastischerer Maßnahmen (Fangverbot) bedarf.

Ganz im Gegenteil: Der ICES hat in seinen jährlichen Fangempfehlungen mehrfach anerkannt, dass der Bestandsrückgang 2011 gestoppt wurde und seitdem auf niedrigem Level schwankt. Vier Jahre nach Einführung zeigte die EU-Aalverordnung bereits positive Wirkung – was die realistischen Erwartungen von Dekker & Aström (2007)[4] weit übertraf. Laut Aal-Experte Willem Dekker ist das Ziel der kompletten Bestandserholung (full recovery), selbst unter Idealbedingungen, aufgrund der langen Lebenszyklen der Aale eine Frage von vielen Jahrzehnten (persönliche Mitteilung).

Hohe genetische Diversität als Indiz für stabile Populationsgröße des Aals

Laut BUND[1] steht der Aal kurz davor „für immer zu verschwinden“ (Seite 1) und orientiert sich dabei offensichtlich an der Klassifizierung als critically endangered des IUCN. Das Bewertungsverfahren des IUCN fokussiert sehr stark auf die Dynamik der Bestandsentwicklung und vernachlässigt dabei die gegenwärtige Abundanz (Häufigkeit). Wissenschaftler aus der ICES Arbeitsgruppe Aal (WGEEL) haben für das Jahr 2015 ein jährliches Glasaalaufkommen von über eine Milliarde Glasaale modelliert[5]. Aus Sicht des DAFV steht allein diese Zahl im starken Kontrast zu der Einschätzung des IUCN, dass die Art kurz davorsteht, auszusterben. Zusätzlich liefert auch die innerartliche genetische Diversität des Europäischen Aals keine Hinweise darauf, dass die Art vom Aussterben bedroht ist[6]. Ganz im Gegenteil, die überraschend hohe genetische Diversität, etwa 14-mal so hoch wie beim Menschen[7] und eine enorm hohe effektive Populationsgröße[8] sprechen dafür, dass der Aalbestand vergleichsweise stabil ist und eine genetische Verarmung (genetic bottleneck) nicht nachweisbar ist[6].

Studien zur jüngeren und älteren demografischen Historie zeigen weiterhin, dass die Population des Europäischen Aals zum Höhepunkt der letzten Eiszeit um zwei Größenordnungen kleiner war als heute[9],[10] und trotzdem in der Lage dazu war, sich anschließend wieder auszubreiten. Während der letzten Eiszeit wurde das verfügbare Aalhabitat stark durch die großflächigen Vereisungen eingeschränkt. Archäologische Funde begrenzen das refugiale Habitat auf die Mittelmeerregion und Südwesteuropa[10] .

Habitat-Reduktion als wesentlicher Faktor für den Bestandsrückgang

Bevaqua et al. (2015)[11] beziffern den menschengemachten Aal-Habitat-Verlust durch Querverbauung und Wasserkraftanlagen im Nordsee- und Ostseeraum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit 71 Prozent und schlussfolgern, dass die Habitat-Reduktion einen sehr viel größeren Einfluss auf den Bestandsrückgang gehabt haben muss als die Fischerei. Die Einstellung der Fischerei kann deshalb lediglich zu einem kleinen Teil zur Bestandserholung beitragen, da diese Maßnahme den andauernden Habitat-Verlust nicht kompensieren kann. Wo kein Lebensraum vorhanden ist, können auch keine Laichtiere heranwachsen, die zur Bestandserholung beitragen. Einfache Maßnahmen führen selten zur Lösung komplexer Probleme. Ein Fangverbot wird den historischen Bestandszustand nicht wiederherstellen.

Initiativen zur Unterstützung des Europäischen Aals, gefördert durch die Fischerei

Deutsche Angler und der europäische kommerzielle Aalsektor (Fischerei, Aquakultur, Verarbeitung, Handel) unterstützen seit vielen Jahren aktiv Maßnahmen, die zur Bestandserholung des Europäischen Aals beitragen. Ein Ende der Aal-Fischerei würde auch das Ende all dieser Maßnahmen bedeuten. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es den sogenannten Eel Stewardship Fund (ESF), ein 2016 von der gemeinnützigen Initiative zur Förderung des Europäischen Aals e.V. ins Leben gerufener Fond zur Unterstützung von Maßnahmen, die zur Bestandserholung beitragen. Über die letzten zwölf Jahre wurden von der Aalinitiative und dem ESF u.a. Forschungsprojekte und Aktivitäten zur Eindämmung des illegalen Aalhandels (280.000€) sowie Maßnahmen zur Überwindung von Wanderhindernissen (30.000€) finanziert. Vergleichbare Initiativen zur Unterstützung der Bestandserholung seitens von Umweltverbände sind dem DAFV nicht bekannt.

 

Quellen

[1] BUND (2022). Standpunkt - Gefährdet und gejagt: Warum ein Fangverbot für den Europäischen Aal jetzt notwendig ist. Bund für Umwelt und Naturschutz, pp. 17

[2] Simon, J., Charrier, F., Dekker, W., & Belhamiti, N. (2022). The commercial push net fisheries for glass eels in France and its handling mortality. Journal of Applied Ichthyology, 38(2), 170-183.

[3] Briand, C., Sauvaget, B., Girard, P., Fatin, D., & Beaulaton, L. (2012). Push net fishing seems to be responsible for injuries and post fishing mortality in glass eel in the Vilaine estuary (France) in 2007. Knowledge and Management of Aquatic Ecosystems, 404, 02.

[4] Åström, M., & Dekker, W. (2007). When will the eel recover? A full life-cycle model. ICES Journal of Marine Science, 64(7), 1491-1498.

[5] Bornarel, V., Lambert, P., Briand, C., Antunes, C., Belpaire, C., Ciccotti, E., ... & Drouineau, H. (2018). Modelling the recruitment of European eel (Anguilla anguilla) throughout its European range. ICES Journal of Marine Science, 75(2), 541-552.

[6] Pujolar, J. M., Bevacqua, D., Capoccioni, F., Ciccotti, E., De Leo, G. A., & Zane, L. (2011). No apparent genetic bottleneck in the demographically declining European eel using molecular genetics and forward-time simulations. Conservation Genetics, 12(3), 813-825.

[7] Enbody, E. D., Pettersson, M. E., Sprehn, C. G., Palm, S., Wickström, H., & Andersson, L. (2021). Ecological adaptation in European eels is based on phenotypic plasticity. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(4), e2022620118.

[8] Nikolic, N., Liu, S., Jacobsen, M. W., Jónsson, B., Bernatchez, L., Gagnaire, P. A., & Hansen, M. M. (2020). Speciation history of European (Anguilla anguilla) and American eel (A. rostrata), analysed using genomic data. Molecular Ecology, 29(3), 565-577.

[9] Jacobsen, M., Pujolar, J., Gilbert, M., Moreno-Mayar, J. V., Bernatchez, L., Als, T. D., Lobon-Cervia, J., Hansen, M. M. (2014). Speciation and demographic history of Atlantic eels (Anguilla anguilla and A. rostrata) revealed by mitogenome sequencing. Heredity, 113, 432–442

[10] Kettle, A. J., Heinrich, D., Barrett, J. H., Benecke, N., & Locker, A. (2008). Past distributions of the European freshwater eel from archaeological and palaeontological evidence. Quaternary Science Reviews, 27(13-14), 1309-1334.

[11] Bevacqua, D., Melià, P., Gatto, M., & De Leo, G. A. (2015). A global viability assessment of the European eel. Global Change Biology, 21(9), 3323-3335.

Deutscher Angelfischerverband e.V. (DAFV)

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